BusinessMagazin
Problemlage Neubau
Heiko Kretschmer, Vorsitzender Neue Wege für Berlin e.V. | Foto: Lotte Ostermann

Problemlage Neubau

25. März 2021

Dauerthema: Wohnungsnot in Berlin

Die „Initiative Deutsche Wohnen und Co. enteignen!“ hat Ende Januar den Start der zweiten Stufe ihres Volksbegehrens beantragt. Dies hat die stetig brodelnde Debatte um die Wohnungsnot in Berlin erneut angefacht. Doch trotz vieler Ideen und Bemühungen geht es im notwendigen Wohnungsneubau nur schleppend voran. Woran liegt das? Die BERLINboxx sprach dazu mit Heiko Kretschmer, Vorsitzender Neue Wege für Berlin e.V. Wir haben selbstverständlich auch Bausenator Sebastian Scheel als Verantwortlichen aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen die Möglichkeit gegeben, sich ebenfalls zu unseren Fragen zu äußern. Dieses Angebot wurde allerdings ausgeschlagen – wahrscheinlich ist ihm zu dem Thema einfach nichts mehr eingefallen. Wundert uns das?

Berlin wächst. Viele Menschen kommen in die Hauptstadt, um hier zu leben, doch bezahlbare Wohnungen für sie fehlen und der Neubau erfolgt nur langsam. Woran liegt dies Ihrer Meinung nach? Woran „hapert“ es?

Diese Problemlage hat ein Bündel von Ursachen.

  1. Der Neubau findet weitgehend in höherpreisigen und Luxus-Segmenten statt. Zuletzt wurden nur noch 9 Prozent der neuen Mietwohnungen für weniger als 10 Euro je Quadratmeter Nettokaltmiete auf den Markt gebracht. Dies liegt daran, dass es keine spezifischen Förderprogramme für bezahlbaren Wohnungsbau in Berlin gibt (sei es über die IBB oder über Erbpachtmodelle). Überdies fallen Jahr für Jahr mehr Wohnungen aus der Sozialbindung als im Vergleich neue Sozialwohnungen fertiggestellt werden. Auf diese Weise hat Berlin in den letzten fünf Jahren 35.000 Wohnungen verloren.
  2. Die Auflösung der zentralen Plangenehmigung in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen hat zu einer signifikanten Verlangsamung von Planungs- und Genehmigungsprozessen in Berlins Verwaltung geführt. Statt die rechtlichen Möglichkeiten zu nutzen, möglichst viele Zuständigkeiten für größere Projekte an sich zu ziehen, belässt der Senat die Zuständigkeit bei den überlasteten und überforderten Bezirken. Hinzu kommt, dass die verkehrliche Erschließung von Neubaugebieten von der zuständigen Senatorin für Verkehr äußerst zögerlich geplant wird, sodass entsprechende Baugenehmigungen nicht erteilt werden können.
  3. Die fehlende Bereitschaft der rot-rot-grünen Koalition sich auf ambitionierte Neubauziele zu verständigen. Der Stadtentwicklungsplan Wohnen plant bis ins Jahr 2030 rund 135.000 Wohnungen zu wenig, um für einen ausgeglichenen Wohnungsmarkt in Berlin zu sorgen.

Der Mietendeckel löste von Anfang an hitzige Debatten aus. Nun ist er da. Wird er, wie gewünscht, für mehr Entspannung auf dem Wohnungsmarkt sorgen oder das Problem weiter verschärfen?

Der Mietendeckel baut nicht eine der fehlenden Wohnungen. Insofern kann er das Problem ohnehin nicht lösen. Bestenfalls würde er der Regierung etwas Zeit für eine Neubauoffensive verschaffen. Aber genau diese Neubauinitiative gibt es nicht. Stattdessen verschärft der Mietendeckel die soziale Schieflage in Berlin. Sozialmieten sind vom Deckel ausgenommen. Bezahlbare Mieten (also bis 10 Euro) werden nach jetzigem Kenntnisstand in der Regel nur um wenige Cents gesenkt. Stattdessen zeigt der Mietendeckel große Wirkung bei den hochpreisigen und Luxuswohnungen. Insbesondere große Altbauwohnungen in bester Lage werden billiger, im Einzelfall sinkt die Miete um 40 Prozent. Der Mietendeckel ist also eine Lösung für Besserverdienende.

Nicht nur der Mietendeckel auch Enteignungsinitiativen und der offensichtliche Wohnungsmangel haben den Wohnungsmarkt in Berlin zu einem emotionalen gesellschaftlichen Thema werden lassen. Die eine Seite fordert ein stärkeres Eingreifen der Politik und die andere wünscht mehr Freiheiten und Anreize für Investoren. Wo sehen Sie eine Möglichkeit, beide Seiten zusammenzubekommen?

Wohnungen sind sowohl ein Wirtschaftsgut als auch ein soziales Gut. Dies erfordert ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Daseinsvorsorge und Markt. Je geringer das Einkommen, desto mehr ist ein Mieter auf eine funktionierende Regulierung angewiesen. Darum ist die Mietpreisbremse eine sinnvolle Lösung. Ihre Einhaltung muss streng kontrolliert werden. Auch die Themen Eigenbedarf und Umwandlung bedürfen strikter Regeln, hier bessert die große Koalition ja gerade das Regelwerk nach.

Zugleich müssen Wohneigentümer*innen aber auch eine verlässliche Investition tätigen können. Und ohne sie geht es nicht. Heute kommen über 70 Prozent der Neubauwohnungen aus privater Hand. Darum müssen die Rahmenbedingungen für sie verlässlich sein und Mietpreisbindungen mit Förderprogrammen verknüpft werden. Ebenso braucht es eine aktive Bodenpolitik, in der das Land Grundstücke aufkauft, entwickelt und gegen Auflagen günstig verkauft oder in Erbpacht zur Verfügung stellt. Denn die Explosion der Bodenpreise ist der größte Preistreiber für den Neubau in Berlin.

Für eine solche Politik benötigt es klarer, verbindlicher Verabredungen: Land, private, genossenschaftliche und landeseigene Wohnungsunternehmen müssen gemeinsam ein solch ambitioniertes Programm umsetzen. Das Bündnis für Bauen und Wohnen in Hamburg zeigt, dass dies extrem erfolgreich funktionieren kann.

Halten Sie eine Nachverdichtung der Städte für sinnvoll oder sind es eher Projekte wie Mitarbeiterwohnungen, die das Wohnungsproblem lösen? Wo sehen Sie die größten Chancen für die Lösung der Wohnungsnot?

Es gibt nicht DIE eine Lösung. Vielmehr geht es um städtebauliche Vielfalt: Mitarbeiterwohnungen, Nachverdichtung, Dachausbauten, neue Quartiere oder Stadtteile – alles wird gebraucht. Nachverdichtung kann nicht der alleinige Lösungsweg sein, denn sie wirft für die Auslastung sozialer Einrichtungen wie Kitas oder Schulen und die bestehenden Verkehre mit Bus, Tram und Bahn die größten Probleme auf, weil zumeist eine steigende Einwohnerzahl auf unveränderte Kapazitäten trifft.

Es ist ein wichtiges Ziel der Berliner Landesregierung, den Neubau von sozialen und bezahlbaren Wohnungen sowie neue, ökologische Wohnquartiere voranzubringen. Gleichzeitig seien bei Neubauprojekten Umweltschutzauflagen häufig ein Hindernis. Wie erklären Sie diesen Gegensatz?

Das muss kein Gegensatz sein. Holzbauten und serielles Bauen erlauben oftmals die Einhaltung hoher ökologischer Standards ohne Mehrkosten, scheitern aber oftmals an Genehmigungsverfahren. Klimaneutrale Quartierslösungen (z. B. durch Blockheizkraftwerke) sind oftmals erheblich günstiger als die energetische Optimierung der einzelnen Wohnungen. Der CO2-Fußabdruck kann durchaus vergleichbare Werte erreichen. Auch darum ist es wichtig, nicht nur über Nachverdichtung, sondern auch über neue klimaneutrale Wohn-Quartiere nachzudenken. (aw)